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Scrum in der Verwaltung - Teil 4: Einführung von Scrum

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Stadt-Gespräche — Folge 26

In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge sprechen wir mit Ralf Engels darüber, wie man Scrum in der Verwaltung einführt und womit man dabei rechnen muss.

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Nina da Costa: Kommen wir zum Thema der Einführung einer agilen Methode: wo fängt man an?

Ralf Engels: Man fängt damit an, dass sich jemand traut. In unserem Fall war es zufällig auch der Abteilungsleiter; das hat zumindest aus der hierarchischen Struktur heraus einiges einfacher gemacht. Es muss nicht die Führungskraft sein, aber sie sollte dahinter stehen. Das finde ich ganz wichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Abteilungsleiter heute sagen würde, dass es schlecht war, das getan zu haben — ganz im Gegenteil.

Nina: Womit muss man rechnen, wenn man Scrum einführt?

Ralf: Mit Widerstand — und zwar auf allen Ebenen, zu jeder Zeit. Der kann abebben und auf einmal wieder auftauchen, wenn man gar nicht damit rechnet. Das heißt, man muss dabeibleiben. Wenn man das als Führungskraft durchsetzen will, muss man gerade am Anfang mit dabei sein. Ich fand es auch sehr gut, dass unser Abteilungsleiter gesagt hat, dass er am liebsten im Entwicklungsteam ist und nicht die scheinbare Führungsrolle eines Product Owners übernehmen wollte. Die Rolle des Kunden würde ich am ehesten ihm geben, weil das die klassische Rolle der Führungskraft ist: er hat die Aufgabe, ein Abwasserbeseitigungskonzept zu erstellen und kann sagen, wie er sich das vorstellt — und das ist die Kundenperspektive. Das hat super funktioniert und das ist auch eine gute Lösung für Teams, bei denen der Kunde nicht klar ist.

“Wir haben uns eine externe Begleitung geholt, und sehr viel des Unverständnisses hat sich komplett auf diesen Externen abgeladen.”

Nina: Du hattest erwähnt, dass die Bereitschaft am Anfang nicht unbedingt hoch war. Aber ich kann vollkommen nachvollziehen, dass die erste Reaktion vorsichtig ist und finde es sehr wichtig, dass das kein charakterlicher Fehler ist. Die Leute, die sich überlegt haben, eine agile Methode auszuprobieren, haben sich das ja auch nicht von heute auf morgen ausgedacht, sondern sich vorher damit beschäftigt. Sie hatten Zeit, sich daran zu gewöhnen. Das ist wie ein Hochzeitsantrag: eine Seite…

Ralf (lacht): …ist vorbereitet.

Nina: …und die andere kriegt das vor den Latz geknallt.

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Ralf: Und das kannst du nicht richtig machen. Wir haben uns eine externe Begleitung dazu geholt, und es hat sich herausgestellt, dass sehr viel des Unverständnisses sich komplett auf diesen Externen abgeladen hat. Wir waren dadurch aus der Schusslinie und konnten unterstützen, als es wirklich ans produktive Arbeiten ging. Deswegen können wir sagen: es war super, dass die dabei waren. Dem Berater ist es am Ende egal, wie er das Ziel erreicht und hat auch gesagt: “Die können mich ruhig hassen. Hauptsache, sie verstehen den Prozess und machen ihn weiter”. Das hat funktioniert.

“Man muss den Willen haben zu sagen: Ich verstehe, dass ihr dem kritisch gegenübersteht — wir machen die nächste Veranstaltung trotzdem.”

Nina: Wenn man merkt, dass eigentlich fast keiner mit an Bord ist: was macht man da?

Ralf: Man macht erstmal weiter, versucht, darauf einzugehen und die Bedenken zu verstehen, die da sind. Man führt Einzelgespräche und hinterfragt auch, ob das Konzept das richtige ist — was man nach einer Veranstaltung aber schwer abschätzen kann. Außerdem muss man es selbst wollen. Wenn man schon daran zweifelt und dann eine große Gruppe sagt, das mache alles keinen Sinn, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man umkippt, sehr groß. Man muss den Willen haben zu sagen: “Ich verstehe, dass ihr dem kritisch gegenübersteht — wir machen die nächste Veranstaltung trotzdem.” Sechs Monate später kann ich sagen, dass es funktioniert hat. Es war eine harte Zeit, die ersten Treffen waren schwierig. Unser Begleiter hat gesagt, dass dieser Widerstand am Anfang normal ist — wir müssten einfach weitermachen. Aber wenn wir das durchziehen wollen, müssten wir uns jetzt dazu entscheiden.

Nina: Und dann…

Ralf: Dann kriegen wir das auch durch. Er hat gesagt: “Ein Vielleicht bringt uns nicht weiter. Ein Ja oder ein Nein. Bei einem Nein hören wir auf, bei einem Ja stehen wir dahinter, bis die Deadline abgeschlossen ist.” Ich glaube, dass man diese Kombination braucht: aus dem Willen, es zu tun, und dem Glauben, dass es dadurch viel besser sein wird, als es vorher war. Aber man muss mit diesem starken Misstrauen rechnen. Und das Schlimmste, was man machen kann, ist, es nicht zu adressieren. Wir haben außerdem von Vornherein gesagt, dass diese Workshops für das Team ein Angebot sind.

“Und schon im ersten Treffen wurde gesagt: wer nicht mehr kommen möchte, muss das nicht tun.”

Nina: Ihr habt die Meetings auf freiwilliger Basis gemacht?

Ralf: Ja. Im ersten Workshop wurde überlegt, wer am besten in welches Team passt. Da gab es eine Vorauswahl von Leuten, die wir brauchten, um diese Arbeit zu erledigen, und die waren alle eingeladen. Und schon im ersten Treffen wurde gesagt: wer nicht mehr kommen möchte, muss das nicht tun. Zwei sind seitdem nicht mehr dabei gewesen, haben aber in ihren Teams ihre Arbeit erledigt. Ich glaube, es ist wichtig, diese Freiwilligkeit von Vornherein klar zu machen. Es hat sich dann gezeigt: einige sind zu drei, vier Terminen nicht gekommen…

Nina: Die haben dann aber gemerkt…

Ralf: Genau. Im Nachhinein fand ich es beeindruckend, dass wir ein paar Kollegen hatten, die dem Ganzen extrem kritisch gegenüberstanden, und das auch offen gesagt haben: “Ich weiß überhaupt nicht, was das hier soll und warum wir nicht einfach anfangen zu arbeiten.” Aber die sind dabeigeblieben. Die waren bei jedem Workshop, jedem Daily, allen Meetings dabei und haben immer wieder gesagt: “Ich weiß immer noch nicht, warum ich hier sitze.” Und irgendwann kam dann auf einmal ein Beitrag. Das ist ein ganz natürlicher Prozess der Skepsis. Diese Überforderung hatten alle, aber die Mutigsten sind die, die das sagen. Diese Leute kannst du mitnehmen. Aber denen, die sich absolut verweigern, kannst du nicht helfen.

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“Viele haben so viel Angst vor der Kontrolle, dass sie vergessen: wenn ich nicht kontrollierbar bin, kann ich auch nicht wertgeschätzt werden.”

Nina: Vielleicht kommen die beim zweiten Projekt.

Ralf: Ja, wenn unser Abwasserbeseitigungskonzept fertig ist, wird da am Ende etwas stehen, wo jeder zugeben muss: unter den widrigen Bedingungen, in dem knappen Zeitrahmen, in dem ganzen chaotischen System haben wir ein Ergebnis erzeugt, das sich wirklich sehen lassen kann. Und dann ändert sich das vielleicht. Vielleicht auch nicht, aber dann reicht es aus, wenn jemand bereit ist, in einem Team dabei zu sein. Vielleicht guckt er oder sie dann mal bei den Dailys vorbei…

Nina: Und sieht dann: was ich den ganzen Tag mache, wird auf einmal sichtbar — nicht nur für mich, sondern auch für andere. Und darüber kommt Wertschätzung.

Ralf: Und das Interessante kommt, wenn man sich fragt, wie Wertschätzung überhaupt funktioniert: Ich kann ja niemanden wertschätzen, von dem ich nicht weiß, was er geleistet hat. Und das ist kein verwaltungsspezifisches Ding, das gilt generell. Viele Arbeitnehmer haben so viel Angst vor der Kontrolle, dass sie vergessen: wenn ich nicht kontrollierbar bin, kann ich auch nicht wertgeschätzt werden. Ich kann natürlich auch nicht kritisiert werden, aber ich kann auch nicht wertgeschätzt werden. Also muss ich mir mal Gedanken machen: will ich lieber nicht kritisiert werden, um jeden Preis? Dann sorge ich dafür, dass keiner weiß, was ich mache. Dann darf ich mich aber auch nicht beschweren, wenn ich nicht wertgeschätzt werde. Wenn ich das transparent mache, kann es sein, dass das mal in die Hose geht — da sind wir bei der Fehlerkultur: dann ist das eben so. Aber nur dann kann ich Wertschätzung dafür erfahren.

“Traut euch mehr! Ihr habt viel mehr drauf, als ihr selbst glaubt.”

Nina: Was ihr da macht, ist revolutionär für die Verwaltung. Ich möchte nur nochmal sagen, dass ich das unheimlich cool finde. Auch, dass die Leute zu den Meetings gekommen sind, obwohl sie es nicht mussten. Nicht alle, aber die meisten. Entschuldigung an dich, aber ich finde, das größte Lob geht an das Team. Aber du gehörst natürlich zum Team dazu.

Ralf: Ich glaube, die wissen auch noch gar nicht, was sie alles geschafft haben, und dass das eine echt coole Leistung war. Wir haben ja nicht 30 Leute aus ihrer Arbeit herausgerissen, sondern es gab nur eine begrenzte Anzahl, vielleicht vier oder fünf, die wirklich einen Großteil ihrer Zeit darin investiert haben. Der Rest hat das alles nebenher gemeistert.

Nina: Zum Abschluss: Was ist dein Appell an die Verwaltung?

Ralf: Mein Appell an die Verwaltung ist: Traut euch mehr! Ihr habt viel mehr drauf, als ihr selbst glaubt. Macht euer Ding und glaubt an euch.

Tipps zur Einführung von Scrum in der Verwaltung

  1. Macht euch klar, dass es sehr schwierig wird. Seid euch sicher, dass ihr es durchziehen wollt, und dann tut es — egal, was kommt.
  2. Die Führungskraft sollte auf jeden Fall dahinterstehen.
  3. Externe Berater können euch bei der Einführung gut unterstützen.
  4. Ihr könnt gemeinsam herausfinden, welche Scrum-Regeln für euch und euer Projekt am wichtigsten sind und darauf den Fokus legen. Trotzdem solltet ihr alle Regeln anwenden — nur dann arbeitet ihr wirklich agil.
  5. Rechnet jederzeit mit Widerstand. Versucht nicht, ihn zu ignorieren, sondern sprecht mit den Einzelnen offen darüber.
  6. Falls es keinen Kunden gibt, kann die Führungskraft diese Rolle übernehmen und die Anforderungen in Aufgaben fürs Team übersetzen.
  7. Die Teilnahme an den Scrum-Meetings sollte freiwillig sein.
  8. Die, die offen ihre Zweifel aussprechen, könnt ihr vermutlich mitnehmen. Die, die sich über längere Zeit komplett verweigern, eher nicht.
  9. Formuliert eine Definition of Done (Definition von “Fertig”) für Aufgaben/ Ziele, damit ihr wisst, wann ihr sie erledigt/ erreicht habt.
  10. Viele werden Angst vor der Transparenz dieser Arbeitsweise haben. Macht ihnen klar, dass man nur dann echte Wertschätzung erfahren kann, wenn die eigene Arbeit sichtbar ist.

Wir wünschen viel Erfolg beim Ausprobieren!


Du willst dich weiter über Scrum informieren? Dann empfehlen wir dir den offiziellen Scrum-Guide zum Lesen oder zum Anhören.


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