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Warum das Jobcenter einen besseren Ruf verdient

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Stadt-Gespräche — Folge 27

In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge sprechen wir mit Christian Hannusch über den Ruf des Jobcenters und die Rolle, welche die Gesellschaft dabei spielt.

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Nina da Costa: Gerade das Jobcenter genießt ja nicht unbedingt den besten Ruf. Was glaubst du, woran das liegt?

Christian Hannusch: An ganz unterschiedlichen Dingen. Zum einen sicherlich an der Situation derjenigen, die zum Jobcenter gehen, weil das naturgemäß keinem Spaß macht. Wir haben ein ausgebautes und sehr umfangreiches soziales Sicherungsnetz, aber das ist schon eine der unteren Auffangstufen. Wer zum Jobcenter muss, hat diese Klischees im Kopf, befindet sich in der Regel aber auch in einer Situation, die alles andere als angenehm ist. Es geht darum zu gucken, wie man sein Leben gerade noch so finanziert bekommt. Wer Hartz IV beantragt, hat nichts anderes mehr. Es kommt einerseits aus der Lebenssituation der Betroffenen, andererseits aus der medialen Berichterstattung.

“In der Debatte wird oft vergessen, wie absurd das vorherige System war.”

Nina: Vermutlich auch aus der Darstellung auf RTL II und Co…

Christian: Genau. Die Hartz-Reformen selbst sind lange sehr umstritten gewesen, obwohl sie notwendig waren: in der Debatte wird oft vergessen, wie absurd das vorherige System war. Aber der schlechte Ruf des Jobcenters kommt auch aus der Komplexität dessen, was da getan wird. Es ist für Außenstehende oft nicht nachvollziehbar, warum es so funktioniert, wie es funktioniert. Zumal in einer Gesellschaft, die eine der reichsten der Welt ist und sich zum Glück so eine soziale Grundsicherung leisten kann. Und die ist wirklich gar nicht so schlecht, aber trotzdem empfinden die Menschen Hartz IV als Widerspruch zu dem, was sie vorher erlebt haben oder zu dem, was sie aus der Gesamtgesellschaft mitbekommen.

Nina: Das heißt, der schlechte Ruf hat mit dem Jobcenter selbst wenig zu tun?

Christian: Doch, zumindest teilweise kommt er auch aus der Struktur der Jobcenter vor Ort. Da herrscht genauso Personalnot wie an allen anderen Stellen, und teils der gleiche Verwaltungswahnsinn. Das liegt auch manchmal an denen, die da sitzen: wenn Leute aus dem Jobcenter berichten, geht es ja oft nicht um die Ungerechtigkeit des Systems, sondern um das, was sie zwischenmenschlich erlebt haben. Dass sie angeranzt wurden oder Konflikte hatten. Mein Schluss ist immer: wenn es einen Konflikt im Jobcenter gab, war das Problem meistens auf beiden Seiten des Tisches. Es ist weder der böse Bittsteller, noch der arrogante “Beamtenarsch”, der das Problem verursacht, sondern es kommen zwei Individuen zusammen. Da kann es auch mal krachen — ich glaube, das ist menschlich. Aber wenn die Jobcenter es schlimmstenfalls versäumen, ihre Mitarbeiter schulen, sodass sie besser mit Konflikten umgehen können, kommt auch daher der schlechte Ruf.

“Es ist nicht meine Aufgabe, eine politische Debatte zu führen oder einen umfangreichen Bildungsauftrag an meine Kunden weiterzugeben.”

Nina: Aber es kommt sicherlich auch vor, dass die Bürger ihre Wut auf das System auf die Menschen übertragen, die dort ihren Job machen?

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Christian: Natürlich. Ich musste mir und teilweise auch meinen Kunden bewusst machen: Ich bin das erste Gesicht vom Staat, das sie sehen. Ich bin unmittelbarer Repräsentant des gesamten Staates, auch wenn ich nur aus einer kleinen Stadtverwaltung komme und nichts für die Sozialgesetze kann. Da werden auch Debatten vermischt. Wie oft habe ich gehört: “Dem Ausländer blast ihr das Geld in den Arsch und ich kriege hier nicht mal die Heizkosten bezahlt”. Das kann man gar nicht auflösen, weil es nicht meine Aufgabe ist, eine politische Debatte zu führen oder einen umfangreichen Bildungsauftrag an meine Kunden weiterzugeben. Das darf und will ich auch gar nicht. Ich kann nicht immer erklären, warum alles so ist, wie es ist. Ich kann aber auch nicht erwarten, dass der Bürger genau differenziert, was jetzt Verwaltung ist und was Politik — was ins Jobcenter Bochum gehört, und was vor den Bundestag in Berlin. Das ist ein Widerspruch, den man nicht auflösen kann. Das muss man reflektieren.

“Arbeitslosigkeit wird zum selbstverschuldeten Phänomen erklärt, und da müsste die Debatte eigentlich ansetzen.”

Nina: Es ist natürlich ein sehr komplexes Thema, aber hast du eine Idee, was sich ändern müsste, damit Menschen zum Beispiel keine Angst mehr davor haben, zum Jobcenter zu gehen?

Christian: Ach, ich glaube, das ist eine Debatte, die nicht aus dem Jobcenter kommen oder nicht dort geführt werden kann, sondern eine gesamtgesellschaftliche Frage. Wie sieht denn unsere Gesellschaft Erwerbsarbeit? Damit steht und fällt ja auch das Selbstbild. Ich gehe zum Jobcenter, weil ich keinen Job habe. Und weil ich keinen Job habe, werden Dinge problematisiert oder ich problematisiere sie selbst. Weil wir in einer Gesellschaft leben, die stark von Erwerbsarbeit geprägt ist, und vom Gedanken an Aufstieg, an Weiterkommen und…

Nina: Leistung.

“40 Stunden können viele gar nicht leisten, und das liegt selten in der Person begründet, das ist kein Unvermögen.”

Christian: Und Leistung. Es ist aber auch sehr konservativ: Job haben, Baum pflanzen, Haus bauen, Kinder kriegen. Wir leben in einer konservativen und in einer leistungsorientierten Gesellschaft. Arbeitslosigkeit wird zum selbstverschuldeten Phänomen erklärt. Und da müsste die Debatte eigentlich ansetzen: Wie gehen wir mit Leistungsminderung um? Es kommen ja nicht nur Leute ins Jobcenter, weil sie gerade arbeitslos oder faul sind, sondern weil sie sich in irgendeiner besonderen und komplexen Lebenslage befinden. Leute, die gar nicht so arbeiten können, wie es das gesellschaftliche Ideal postuliert. 40 Stunden können viele gar nicht leisten, aus unterschiedlichsten Gründen. Und das liegt selten in der Person begründet, das ist kein Unvermögen. Aber unsere Gesellschaft stellt es zu häufig so dar. Trotzdem ist natürlich Eigenverantwortung das Maß aller Dinge: Wer beim Jobcenter ist, muss sich klar sein, dass es in seiner Verantwortung liegt, da rauszukommen. Aber wie viel Verantwortung kann ich von Menschen erwarten? Jemand, der sich in einer psychischen Krise befindet, weil er nach 30 Jahren bei Opel seinen Job verloren hat, oder die Frau mit zwei Kindern, die plötzlich vor der Scheidung steht und nichts für ihre Situation kann… Wie viel Mündigkeit oder Eigenverantwortung kann ich da verlangen, wie viel Reflexionsvermögen?

“Man ist ja frei darin, als Vollgrätsche beim Jobcenter aufzutauchen. Dann ist man aber genauso frei, die Konsequenzen zu tragen.”

Nina: Ich kann mir vorstellen, dass es bei besonders unfreundlichen Bürgern schwierig wird, sich als Dienstleister zu sehen. Wie bist du mit sehr unangenehmen oder sogar gefährlichen Situationen umgegangen?

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Christian: Wenn die Situation sehr unangenehm oder gefährlich wird, beende ich sie. Die Möglichkeit hat man ja. Ich habe auch meine Erfahrungen damit gemacht, dass man bedroht oder beleidigt wird oder jemand völlig stumpfsinnig daherredet. Man kann nicht jedem gerecht werden und man muss es auch gar nicht. Man ist ja frei darin, als Vollgrätsche beim Jobcenter aufzutauchen. Dann ist man aber genauso frei, die Konsequenzen zu tragen. Meine Aufgabe war es, das allgemein gehaltene Recht auf das Individuum anzuwenden. Wenn das funktioniert, ist das gut, und wenn nicht, hat man Möglichkeiten, darauf hinzuwirken.

Ich kann nicht mit jedem Kunden mitleiden, sonst wäre ich nach ein paar Wochen durch. Genauso wenig kann ich aber auf jeden Kunden wütend sein.”

Nina: Welche denn zum Beispiel?

Christian: Wenn jemand nicht kooperativ ist, definiert das Gesetz zum Glück, was dann passiert. Wir haben eine ganze Bandbreite an rechtlichen Möglichkeiten, sind aber als Mensch und als professionelle Person immer gefragt, das zu moderieren und aufzufangen. Ein schöner Satz, den ich mal bei der Feuerwehr gehört habe: “Mitleid können wir uns hier nicht leisten, aber Mitgefühl müssen wir lernen.” Ich kann nicht mit jedem Kunden mitleiden, sonst würde ich kaputtgehen und wäre nach ein paar Wochen durch. Genauso wenig kann ich aber auf jeden Kunden wütend sein. Ich muss reflektieren: warum ist der gerade grantig? Der kennt mich ja gar nicht und kann mich persönlich überhaupt nicht angreifen. Natürlich sitzt der als Mensch vor mir und beleidigt mich, und das geht an die persönliche Substanz, aber es ist ein Reflexionsprozess — der bestenfalls vom Jobcenter unterstützt wird.

“Ich habe an mich eine höhere Erwartung als an mein Gegenüber, und das finde ich auch legitim.”

Nina: Ist dir das denn gelungen?

Christian: Es fällt schon manchmal schwer, das zu reflektieren. Wenn man vier Termine am Stück hat und im dritten wurde man angegangen — da wird die Haut dünn. Klar ist es mir passiert, dass ich Leute unwirsch abgehandelt habe. Ich kann von den Betroffenen aber auch nicht erwarten, in der Situation zu reflektieren. Ich habe Menschen erlebt, die mich in einem Termin total beleidigt und sich beim nächsten entschuldigt haben, weil es ihnen selbst klar geworden ist. Das habe ich nicht mal von meinen Kunden erwartet. Mir war einfach klar, dass das dazugehört. Ich bin ja in der stärkeren Position, was die emotionale Widerstandskraft angeht. Das ist mein Job, das affektiert mich in meinem persönlichen Leben nicht. Aber die Menschen, die vor mir sitzen, sind in einer Krisensituation. Das heißt, ich habe an mich eine höhere Erwartung als an das Gegenüber. Und das finde ich auch legitim.

“Ich finde es völlig legitim, mal unbotmäßig über Kunden zu sprechen. Aber man muss es immer auch reflektieren.

Nina: Respekt. Ich glaube, ich würde mir das sehr zu Herzen nehmen.

Christian: Umso wichtiger ist das kollegiale Umfeld — dass man mit Kollegen sprechen kann und sich auch mal auskotzt. Es klingt ja schön, dass ich an mich einen höheren Maßstab setze als an meine Kunden… Aber wenn wir mit den Kollegen bei einer Pizza zusammengesessen haben, sind wir schon mal über die Leute hergezogen. Aber das ist soziale Hygiene. Es ist in der Regel auch nicht so gemeint, sondern ein ganz normaler emotionaler Prozess. Ich finde es völlig legitim, mal unbotmäßig über Kunden zu sprechen. Genauso, wie es legitim ist, dass sie mich schlecht behandelt haben — weil ich ja weiß, in welcher Situation sie waren. Aber man muss es immer auch reflektieren. Wenn ich die Reflexion nicht mehr schaffe und permanent so einen Tunnelblick habe, dann wird ein Problem draus. Und deswegen habe ich das Jobcenter nach ein paar Jahren verlassen: weil es mir zunehmend schwer gefallen ist. Aber ich glaube, dass es irgendwann fast jedem so geht.

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