Warum wir Achtsamkeit brauchen
Stadt-Gespräche — Folge 21
In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge erklärt Björn Schoppohl vom Bochumer Projekt Arbeiten 4.0, wieso Achtsamkeit heute so wichtig ist — und warum die Einführung entsprechender Angebote schwieriger ist als man denkt.
Nina da Costa: Wieso gehören Achtsamkeit und Gesundheit für dich zu Digitalisierung und agiler Arbeit dazu?
Björn Schoppohl: Mobiles Arbeiten und die Öffnung von Arbeitszeitkorridoren können dazu führen, dass Menschen denken, sie müssten jederzeit verfügbar sein. Viele lassen sich komplett vor den Karren spannen, oder spannen sich auch selbst vor den Karren. Und dann finden sie keinen Halt und keinen Ausgleich mehr. Von daher ist es total wichtig, irgendwann mal “Stopp” zu sagen und etwas für sich zu machen. Ich glaube, das ist ein Phänomen, das wir gerade alle erleben. Die ganze Geschichte mit Burnout und Erschöpfung liegt auch daran begründet, dass wir eine unglaubliche Erreichbarkeit haben und damit keine Momente mehr, in denen wir die Gedanken zur Ruhe kommen lassen. Und die Welt wird ja eher schneller als langsamer. Wenn ich mir da keine Freiräume schaffe, gehe ich daran kaputt.
Nina: Und wie bist du selbst zu diesem Gesundheitsthema gekommen?
Björn: Ein Freund von mir hat eine Firma, die Fahrräder baut, und er frühstückt mittlerweile mit seinen Mitarbeitern und sagt, dass es unglaublich viel am Klima verändert hat. Außerdem hat er für alle — frei nutzbar — einen Kaffeeautomaten hingestellt. Die Teetrinker gehen jetzt auch zum Kaffeeautomaten, weil da gesprochen und “genetzwerkt” wird. Und das ist es, was man verliert, wenn man nur dieses Digitale und immer Erreichbare hat. Aber man muss den sozialen Part auch bespielen, weil es sonst zur Vereinsamung führt und krank macht.
“Viele Entscheider glauben immer noch, Gesundheit wäre Eigenverantwortung der Arbeitnehmer*innen.”
Nina: Was habt ihr in Richtung Achtsamkeit und Gesundheit bisher angeboten?
Björn: Einmal war da das Thema Getränke, Kaffee und Obst. Außerdem bieten wir den Mitarbeitern in diesem Projekt einmal am Tag während der Arbeitszeit einen Gesundheitskurs an.
Nina: Was heißt das konkret?
Björn: Zwei Mal in der Woche gab es ein Meditationsangebot, einmal gab es so etwas wie “Life Kinetik” und “Brain Gym”, also Bewegung kombiniert mit Denken, als Herausforderung. Rückenfit-Kurse und Yoga waren auch noch dabei. Das Verrückte ist, dass es nicht viel genutzt wird. Ich weiß nicht richtig, woran es liegt. Vielleicht daran, dass wir Arbeit gerade entgrenzt haben und die Leute auf einmal keine Zeit mehr für sowas finden. Oder dass die Leute sich nicht trauen, oder wir einfach die falschen Sachen angeboten haben. Das müsste man nochmal gucken. Ein riesengroßes Problem ist auch, dass wir da über Steuergelder reden und es da zu großen Diskussionen im Kontext dieses Projektes gekommen ist. Viele Entscheider glauben immer noch, das wäre Eigenverantwortung der Arbeitnehmer*innen. Aber ich glaube, das müssen auch Arbeitgeber viel stärker in den Fokus rücken, und sie hätten riesen Vorteile dadurch.
“Das geht soweit, dass sich die Kollegen unwohl fühlen — mit einem Vorteil für sich, den sie gar nicht nutzen wollen.”
Nina: Welche Rolle spielt denn deiner Meinung nach die Beteiligung der Führungskräfte?
Björn: Ich glaube, es ist wichtig, dass Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, um zu zeigen, wie wichtig so ein Ausgleich ist. Aber auch da bohren wir ganz dicke Bretter, dazu gehört viel Zeit und kultureller Wandel und es bedeutet viel Arbeit und Diskussion. Man muss ganz viele Strukturen und Denkweisen aufbrechen. Das geht soweit, dass sich auch die Kollegen unwohl damit fühlen — mit einem Vorteil für sich, den sie gar nicht nutzen wollen. Also alles sehr vielschichtig. Und um nochmal zurückzugehen: wir hatten zwei weitere Aspekte für dieses Gesundheitsthema. Das eine war ein Gesundheitsraum für alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung Bochum. Der lässt sich aber anscheinend leider nicht realisieren, weil wir ja Büroraum möglichst effizient nutzen sollen. Und da fehlt dann wohl die Messbarkeit. Ich kann nicht sagen: Jetzt habe ich dadurch zehn Tage Krankheitsausfall weniger. Ich kann sagen: Wahrscheinlich wird es einen guten Effekt haben.
Nina: Könnte man nicht das Wohlbefinden der Mitarbeiter*innen und ihre Zufriedenheit als Kennzahl nehmen? Indem man vorher und nachher eine Befragung dazu macht?
Björn: Ja, genau das passiert. Bisher haben wir nur davor befragt, die andere Befragung kommt noch. Aber man sieht ja schon im Projektverlauf, dass die Leute nicht mehr oft teilnehmen. Das ist leider so. Vielleicht ist der Bereich auch einfach zu klein. Wenn man so ein Projekt mit 15 Menschen macht, ist es mit Urlaub, Krankheit und Terminen schon ein guter Schnitt, jeden Tag einen Kurs vollzukriegen.
“Man muss es probieren. Und damit darf man auch scheitern.”
Nina: Sagen wir mal, ein gesamtes Dezernat bekommt das Angebot, zwei mal die Woche Yoga zu machen. Da kriegt man den Kurs doch sicher problemlos voll, oder?
Björn: Ich glaube, wenn man das Angebot machen würde: Ihr dürft zwei, drei mal die Woche jeden Morgen eine halbe Stunde meditieren und das ist Arbeitszeit, dann werden die Kurse wahrscheinlich rappelvoll sein. Vielleicht unterschätze ich das aber auch. Aber man muss es probieren. Und damit darf man auch scheitern. Im Projekt dachte ich ja auch, die würden das alle annehmen. Aber wir haben in eine Richtung gedacht, die kein Standard ist, was ich schon mal gut finde.
Nina: Du hattest noch eine zweite Aktion in dem Bereich erwähnt?
Björn: Genau, das war auch wieder abgekupfert von dem Freund mit der Fahrradbau-Firma. Der hat ein Rückenfit-Gerät aufgestellt und lässt das von einem Trainer begleiten, damit die Leute was für ihren Rücken machen können. Das ist ein Gerät aus Holz, ungefähr so groß wie ein Sessel. Damit kann man der großen Volkskrankheit Rückenprobleme vorbeugen. Das wollten wir auch anschaffen, dazu haben wir Angebote eingeholt, es ist im Endeffekt aber daran gescheitert, dass es zu teuer war.
“Damit werde ich ganz viele nicht erreichen, weil sie mit sich nicht achtsam umgehen können.”
Nina: Wird das im Fahrradladen denn auch genutzt?
Björn: Ja, es wird tatsächlich benutzt. Und die Trainerstunden an dem Gerät werden auch gebucht. Also, da können Mitarbeiter sagen, sie wollen nochmal begleitet werden. Und wir hätten jetzt die Option gehabt, sowas zu stellen und uns von der Sporthochschule in Köln begleiten zu lassen, um auch mal zu gucken, welche Effekte das über ein Jahr hinweg hat. Aber vielleicht war der Bereich auch wieder zu klein.
Nina: Vielleicht muss man die Anzahl potenzieller Teilnehmer*innen einfach so weit erhöhen, dass es funktioniert, wenn nur ein Prozent teilnimmt?
Björn: Ich glaube auch, dass das ein total schönes Angebot wäre, irgendwo einen Raum aufzumachen und das Ding da hinzustellen. Wer will, kann sich in eine Liste eintragen und kriegt eine Schulung. Und wenn er auf dem Weg zur Toilette ist, biegt er in den Raum ab, macht drei Übungen, tut ein bisschen was für seinen Rücken und hat schnell ganz viele positive Effekte erzielt. Da sind wir auch wieder beim Thema Achtsamkeit: Dann sind die Menschen selbst in der Verantwortung für ihren Rücken. Damit werde ich ganz viele nicht erreichen, weil sie mit sich nicht achtsam umgehen können. Aber es gibt vielleicht welche, die das machen, und dann verbreitet es sich. Wir haben ja das Angebot Yoga standardmäßig im Repertoire, inzwischen auch im Mittagspausen-Bereich, was gut angenommen wird. Das sind zwei volle Kurse. Es gibt auch einen Qigong-Kurs. Also was in Richtung Meditation mit Bewegung. Meditation gibt es auch. Allerdings ist fast alles kostenpflichtig und in der Freizeit.
“Man kann sagen: Ich bin drei Stunden sehr diszipliniert, dafür nehme ich mir eine halbe Stunde Entspannung.”
Nina: Es ist ein Anfang.
Björn: Ja, aber das sind immer noch zu viele Hürden. Ich fände es schon, wenn man das niederschwelliger machen würde. Natürlich ist es ein toller Anfang und eine tolle Möglichkeit, aber das muss man weiterführen. Ich fände es auch absolut wünschenswert, dass Menschen, die Betriebssport machen, ein bisschen Unterstützung erhalten. Das muss jetzt nicht alles in der Arbeitszeit sein. Aber dass man sagt: dafür vergelten wir dir irgendetwas, oder es gibt eine Prämie.
Nina: Das wäre ja wahrscheinlich vor allem gut, um Leuten zu zeigen, dass es wirklich okay ist, sich diese Zeit für Entspannung zu nehmen.
Björn: Ich glaube, wenn man mit sich selbst ehrlich ist, hat man am Tag genug Verteilzeiten. Und wenn man die bündelt, kann man sagen: Ich bin drei Stunden sehr diszipliniert, dafür nehme ich mir eine halbe Stunde Entspannung. Man soll sowieso fünf Minuten pro Stunde vom Monitor aufstehen. Wenn ich das in eine halbe Stunde Yoga investiere, könnte ich einen Mehrwert schaffen. Vielleicht sind das Ansätze, die man mal denken muss. Aber das ist auch Kultur und Veränderung. Das sind schon große Schritte.
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