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Der Arbeitsalltag im Jobcenter

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Stadt-Gespräche — Folge 19

In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge erzählt Christian Hannusch von seiner Zeit, dem Arbeitsalltag und außergewöhnlichen Erlebnissen im Jobcenter.

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Nina da Costa: Du hast ca. fünf Jahre im Jobcenter gearbeitet — wie sah da für dich ein typischer Arbeitstag aus?


Christian Hannusch:
Jetzt kommt so ein bisschen das Verwaltungs- oder generelle Arbeitsklischee — der fing an mit Kaffee kochen (lacht). Nein, was als Erstes gemacht wurde ist natürlich Post holen, gucken, was am Tag reingekommen und vielleicht in den letzten Tagen oder Wochen sogar liegengeblieben ist, je nach Situation. Durchschauen, priorisieren: was muss ich jetzt schnell machen, welche Termine habe ich heute, was kommt dabei auf mich zu? Also die Arbeit für den Tag strukturieren und dann abarbeiten oder sich mit speziellen Einzelfällen befassen.


“Bei “Jobcenter” denken immer alle an Arbeitsvermittlung, aber in erster Linie geht es ums Geld.”


Nina: Du warst nicht im Publikumsverkehr?


Christian: Doch, schon. Ich war in der Leistungsabteilung, also da, wo die Hartz IV-Anträge gestellt werden. Bei “Jobcenter” denken immer alle an Arbeitsvermittlung, aber in erster Linie geht es ums Geld. Die Leute müssen krankenversichert sein, sie wollen ihre Wohnung bezahlt haben und brauchen jeden Monat ihr Geld zum Leben. Und in dem Bereich habe ich gearbeitet. Das heißt, ich hatte zwei bis drei Tage in der Woche, an denen meistens vormittags Termine stattgefunden haben, in denen Antragsteller zu mir gekommen sind. Die haben dann ihre Anträge bei mir abgegeben, ich bin sie mit ihnen durchgegangen und habe ihnen gesagt, was sie noch nachreichen müssen.


“Im Jobcenter bekommt meinen einen guten Blick darauf, was Sozialpolitik eigentlich heißt und worauf es dabei wirklich ankommt.”


Nina: Was hat dir an der Arbeit im Jobcenter gefallen, und was fandst du eher schwierig?


Christian:
Beides: Die Realität. Zum einen hat mir gefallen, dass man durch die Arbeit im Jobcenter einen sehr realen Blick auf gesellschaftlich relevante Fragen bekommt, die sonst in medialer Aufbereitung immer zu kurz kommen. Man kennt die Debatten um Hartz IV, man kennt vielleicht auch RTL II, wo man Hartz IV -Empfänger abfilmt, um sich daran zu ergötzen. Die Realität ist aber eine ganz andere. Und sie ist viel ehrlicher, weil das Jobcenter eben nicht voller Klischees ist. Da kommt nicht “der billige Hartzer” hin, sondern da landet jeder mal. Es war für mich zumindest wahnsinnig spannend zu erleben, dass da jeder hinkommen kann und dass das völlig normal ist. Und darüber entwickelt man dann auch eine Wertschätzung für das System, das wir haben. Das kann und muss man an ganz vielen Stellen kritisieren, aber im Jobcenter bekommt meinen einen guten Blick darauf, was Sozialpolitik eigentlich heißt und worauf es dabei wirklich ankommt.


“Das zehrt irgendwann an einem, weil man doch etwas mit nach Hause nimmt.”


Nina: Und die negative Seite dieser Realität?

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Christian: Auf der anderen Seite war diese Realität teilweise auch erschreckend, weil man da richtig krasse Fälle miterlebt. Auch Fälle, die mit der eigentlichen Tätigkeit im Jobcenter gar nichts zu tun haben. Wenn man dann mal so einen ganz kleinen Einblick in das Thema Menschenhandel bekommt, zum Beispiel. Denn auch Menschen, die von Menschenhandel betroffen sind, landen irgendwann im Jobcenter. Und dann bekommt man auch mit, was da so dahintersteckt und was diese Menschen durchmachen.


Nina: Wow, mit solchen Themen hätte ich gar nicht gerechnet.


Christian:
Ja… Ich nehme auch deshalb Menschenhandel als Beispiel, weil das einer dieser Fälle ist, die mir akut im Kopf geblieben sind. Das war schon… Es war letztlich auch einer der Gründe, die mich dazu bewogen haben, mich weg zu bewerben. Weil ich merkte: das reichte dann auch, nach fünf Jahren. Fünf Jahre — bei Weitem nicht nur, aber auch — Sozialdramen mitzubekommen, heftige Sachen mitzubekommen… Ohne dafür jetzt verantwortlich oder zuständig zu sein — es geht ja immer noch nur um Sozialverwaltung. Ich habe ja nicht mit den betroffenen Menschen in dem wirklichen Kernbereich gearbeitet, der richtig an die Substanz geht. Aber da dutzend- oder hundertfach mitzubekommen, in was für dramatischen Lebenslagen sich Menschen befinden können, das zehrt irgendwann an einem, weil man doch etwas mit nach Hause nimmt.


Nina: Ich wollte gerade sagen: man geht dann wahrscheinlich nicht nach Hause und sagt: “So, jetzt habe ich Feierabend, gucke irgendwas Lustiges und vergesse das alles”, oder?


Christian: Meistens ist es mir gelungen, weil die allermeisten Fälle nicht dramatisch sind, aber ja, bei den krassen Sachen ist mir das nicht gelungen. Bis heute nicht, teilweise. Das bleibt im Kopf.


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