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Scrum in der Verwaltung - Teil 1: Menschen wirklich mitnehmen

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Stadt-Gespräche — Folge 23

In den Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-up ShiftDigital, mit Mitarbeiter*innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In dieser Folge erzählt Ralf Engels davon, wie das Tiefbauamt das Ausprobieren der agilen Methode Scrum angegangen ist.

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Nina da Costa: Ihr seid so mutig und probiert Scrum aus. Wie ist da der Stand?

Ralf Engels: Das Projekt läuft in den letzten Zügen. Wir haben ein großes Projekt, ein Abwasserbeseitigungskonzept, das alle sechs Jahre für die kommenden 18 Jahre erstellt werden muss. Es geht um die Frage: Wie schaffen wir es in den nächsten 18 Jahren, unser Kanalnetz so in Schuss zu halten, dass es nicht kaputt geht? Dieses Konzept müssen wir bei der Bezirksregierung einreichen, und davor muss es innerstädtisch genehmigt werden — es muss durch die Ausschüsse, Räte, Bezirke durch und daher müssen wir es in zwei Wochen abgeben. Wir sind im Zeitplan, und das ist die große positive Überraschung, weil uns klar war, dass wir mit einem solchen neuen Prozess Reibung in das Projekt bringen. Uns war aber nicht bewusst, wie viel Reibung wir hineinbringen, und wie lange es dauern würde, bis wir wirklich ans arbeiten kommen.

Nina: Wie lange denn?

Ralf: Ganz konkret haben wir die ersten drei Monate gebraucht, um den Prozess zu verstehen, die Mitarbeiter an Bord zu holen, und die Arbeitspakete und Rollen zu klären, die sie zu erfüllen haben. Insofern fing Anfang Januar die tatsächliche Arbeit an.

“Wir haben es tatsächlich geschafft, ab Anfang Januar 30 Leute parallel ans Arbeiten zu kriegen.”

Nina: Aber ihr seid in den zwei Monaten eigentlich gut vorangekommen?

Ralf: Genau, und wir haben…

Nina: Alles richtig gemacht?

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Ralf (lacht): Das unterschreibe ich, wenn wir die Deadline eingehalten haben. Ich bin aber sehr guter Dinge, dass das tatsächlich funktioniert. Wir haben uns vielleicht nicht das einfachste Projekt ausgesucht, weil es relativ zeitkritisch ist. Und wir versuchen uns nicht etwa mit einem Team aus fünf Mitarbeitern an dieser agilen Methodik, sondern haben direkt gedacht: “Jetzt machen wir das richtig!” Wir machen das mit neun Teams, 30 Mitarbeitern, die alle in verschiedenen Teams gleichzeitig tätig sind, in verschiedenen Rollen. Deswegen hat es auch erstmal drei Monate gedauert.

Nina: Das klingt auch ohne agile Methode schon komplex genug.

Ralf: Genau. Aber das Interessante war, dass wir es tatsächlich geschafft haben, ab Anfang Januar 30 Leute parallel ans Arbeiten zu kriegen. Wenn 30 Leute zwei Monate arbeiten, haben wir 60 Personenmonate, das heißt knapp 5 Arbeitsjahre einer Person in zwei Monaten. Und das war unser großer Erfolg: dass wir diese Abstimmungsphase allesamt so ernst genommen haben, dass wir Anfang Januar ein Team aus 30 Leuten mit unterschiedlichsten Aufgaben waren, die wirklich zusammengearbeitet haben.

Nina: Und genau wussten, was das Ziel ist.

Ralf: Und welche Abhängigkeiten es untereinander gibt. Also, muss ich eine Aufgabe schnell erledigen, weil ein anderes Team auf meine Ergebnisse wartet? Das hat grob gesagt alles funktioniert — im Detail reibt und ruckelt das immer noch. Aber da kann ich aus meiner Erfahrung mit agilen Teams sagen: das hört nie auf zu reiben, sonst ist irgendwas nicht richtig. Es war wirklich sehr interessant zu sehen, wie aktiv und agil das dann tatsächlich funktioniert hat, und wie wir diese sehr große, schwierige Aufgabe so weit gebracht haben, dass wir zwei Wochen vor dem Ende sagen können: es liegt mehr als nur im Bereich des Möglichen. Das ist eine ganz tolle Leistung, derer sich das gesamte Team noch gar nicht wirklich bewusst ist, weil viele noch die ganzen Hindernisse und Reibungen im Kopf haben.

“Allein das war schon sehr wertvoll: dass immer wieder alle auf das Gesamtziel eingenordet wurden.”

Nina: Sie haben wahrscheinlich immer noch das Gefühl, dass es nicht richtig funktioniert.

Ralf: Genau, und es kommt immer noch die Argumentation: “Hätten wir die drei Monate gearbeitet, hätten wir das längst fertig.” Und genau das glaube ich nicht, weil dann jeder für sich gearbeitet hätte. Dann wären wir jetzt an den Punkt gekommen, an dem wir alles zusammengeführt und gemerkt hätten, dass es nicht zusammenpasst. Und dann wäre das eine furchtbare Quälerei für einige Wenige, die die undankbare Aufgabe hätten, aus den Einzelpaketen irgendwie ein Ganzes zu schnüren.

Nina: Hattet ihr denn einen Scrum-Experten oder etwas in der Art, um euch zu unterstützen?

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Ralf: Wir wurden von einem Berater begleitet, der uns vor allem geholfen hat, den Prozess und die Rollen permanent ins Gedächtnis zu rufen. Er hat uns auch in den vielen Workshops und Meetings unterstützt und immer auf die Kernfragen zurückgebracht. Allein das war schon sehr wertvoll: dass immer wieder alle auf das Gesamtziel eingenordet wurden. Was ich spannend fand: bevor wir das umgesetzt haben, dachte ich, das einfachste würde die neue Struktur sein. Weil Strukturen kennen die Leute hier. Ich dachte, die Daily Meetings (tägliche Treffen, Anm. d. Red.) und Ähnliches kann man den Leuten relativ einfach beibringen. Aber das war mit Abstand das Schwierigste. Das habe ich mir als Nicht-Verwaltungsmensch falsch gedacht, weil es ja nicht darum ging, die neue Struktur zu lernen, sondern die bestehende aufzugeben. Und das hat natürlich zu extremen Reibungen geführt.

“Das Entscheidende, um jetzt agil weiterzumachen, ist: es hat funktioniert und wir waren schnell.”

Nina: Die Zusammenarbeit mit anderen Teams war nicht das Problem?

Ralf: Es war dann nicht mehr das Problem, als allen klar war: wir haben hier eine Rolle, ein System, in dem wir arbeiten, und wir haben verstanden, was die anderen wollen. Nachdem wir sechs mal gehört haben, was die anderen gesagt haben, hat es auf einmal “Klick” gemacht und das Verständnis war da. Und dann kam es auch im Austausch mit den Kollegen ganz schnell und hat gut funktioniert.

Nina: Es ist ziemlich gut zu wissen, dass man eigentlich in erster Linie die Zeit investieren muss, die Leute wirklich mitzunehmen.

Ralf: Wir sind damit natürlich ein Risiko eingegangen — im Vertrauen, dass wir ja nicht die Ersten sind, die dieses Verfahren ausprobieren, und mit dem Wissen, dass es dazu in der Lage ist, die Performance von interdisziplinären Teams deutlich zu erhöhen. Es hat funktioniert, das können wir auf jeden Fall sagen, und es macht Spaß. Trotz aller Reibungen, die wir hatten, haben und auch haben werden (lacht). Es gab Kollegen, die anfangs mit verschränkten Armen in den Meetings gesessen und gesagt haben: “Ich sage hier gar nichts; ich finde es total albern, dass wir hier im Stuhlkreis sitzen und irgendwelche Klebezettel an Wänden machen.” Die haben zum Schluss selbst Klebezettel gemacht, sich schon darauf gefreut, an die Wände zu gehen, die nächsten Schritte zu besprechen und waren ungeduldig, wenn schon wieder die Rollen erklärt wurden. Das muss man alles lernen, und ich habe auch nicht erwartet, dass das alle Mitarbeiter sofort verinnerlichen — und das müssen sie auch gar nicht. Das Entscheidende, um jetzt agil weiterzumachen, ist: es hat funktioniert und wir waren schnell.

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“ Es ist auch ganz klar: ich nehme nicht alle mit.”

Nina: Und die Leute sind der Sache gegenüber jetzt positiver eingestellt als am Anfang?

Ralf: Das würde ich so sagen, aber nicht für jeden unterschreiben. Es ist auch ganz klar: ich nehme nicht alle mit. Für mich ist das so: wenn ich einen Kollegen habe, der mit dem ganzen Zeug nichts anfangen kann, sich nicht in einen Stuhlkreis setzen will, dem ich aber hundertprozentig vertrauen kann, dass er Aufgaben gut erledigt und versucht zu verstehen, wie das Projekt und die anderen Teams funktionieren, welche Dinge gefordert werden — der muss für mich nicht dabei sein, kann aber trotzdem Teil des Teams sein. Das muss man auffangen können. Und da entfernt man sich ein Stück weit von den agilen Prinzipien, dann sollte man es nicht mehr Scrum nennen. Aber ich will ja auch nicht als Tiefbauamt der Stadt Bochum ein Zertifikat haben, dass wir jetzt das große Scrum-Ding sind. Wir wollen einfach nur der Komplexität Herr werden, mit der wir zu tun haben.

Nina: Wisst ihr schon, wie es nach diesem Projekt mit Scrum weitergeht?

Ralf: Wir wollen das agile Mindset in unserer Abteilung implementieren, und dafür haben wir einen total spannenden, ersten Schritt getan. Ich weiß nicht, ob wir die schwierigste Aufgabe nicht noch vor uns haben: diese Performance in kleinere Teams zu retten. Wir wollen, dass sich das mit der Zeit in den Alltag integriert. Das wird noch eine Herausforderung. Ich glaube, dass das einige wollen und auch tun werden. Die müssen wir irgendwie unterstützen — auch außerhalb einer externen Begleitung, denn die werden wir nicht bis ins Unendliche fortführen können.


In den nächsten Folgen erfährst du, wie die Grundprinzipien und Regeln von Scrum funktionieren und wie man es in der Verwaltung einführen kann.

Du willst dich weiter über Scrum informieren? Dann empfehlen wir dir den offiziellen Scrum-Guide zum Lesen oder zum Anhören.


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