Exkurs: Über Grundgesetz und Föderalismus
Stadt-Gespräche - Folge 34
In den Stadt-Gesprächen vom Bochumer Start-up ShiftDigital sprechen wir mit Mitarbeiter:innen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und New Work. In diesem kleinen Exkurs reden wir mit Christian Hannusch darüber, warum er ein Fan des deutschen Grundgesetzes ist und wer beim Online-Zugangsgesetz eigentlich für die Umsetzung zuständig ist.
Nina da Costa: Du warst so nett und hast uns bei ShiftDigital eine kleine Einführung zu den gesetzlichen Hintergründen der Verwaltung gegeben. Ich hätte dazu noch zwei Nachfragen. Erstmal hast du gesagt, dass du das deutsche Grundgesetz für eines der besten der Welt hältst. Warum?
Christian Hannusch: Weil es einfach eine wahnsinnig gute Verfassung ist! Es fängt schon richtig an: “Die Würde des Menschen ist unantastbar”. Darin steckt ganz viel historische Erfahrung. Das zeigt auf der einen Seite, dass Deutschland aus seiner Vergangenheit gelernt hat. Und zum anderen finde ich das Grundgesetz gut, weil es ja offensichtlich funktioniert. Weil wir in einer sehr freiheitlichen Gesellschaft leben. Natürlich haben wir Debatten, die manchmal den Eindruck vermitteln, wir würden in einer unfreien Gesellschaft leben.
“Wir leben in einer Freiheit und einem Wohlstand, den es in dieser Form noch nie vorher gegeben hat.”
Nina: Aber alleine schon die Tatsache, dass man diese Debatten frei führen kann…
Christian: So nämlich! Dass hier keine Meinungspolizei reinkommt und sagt: “das hättest du aber nicht sagen dürfen”, und uns beiden die Beine bricht. Nein — ich glaube, wir leben in einer Freiheit und einem Wohlstand, den es in dieser Form in diesem Teil der Welt noch nie vorher gegeben hat. Und allein das ist Beweis genug, dass unser politisches System keines von der schlechten Sorte sein kann. 70 Jahre Frieden in Deutschland, eine stabile Demokratie: Das spricht schon für das Grundgesetz. Und da steht noch eine Menge mehr drin. Wenn man sich Artikel 1 bis 19 durchliest — auch als jemand, der keine Rechtswissenschaft studiert hat: da steht nicht viel drin, dem man widersprechen würde. Und es funktioniert auch. Wenn ich vor die Tür gehe, habe ich nicht das Gefühl, ich wäre unfrei oder gleich würde mir einer sagen, was ich alles nicht darf. Das ist schon eine gute Verfassung.
“Wer ist zuständig? Alle Ebenen. Und in welchem Maße sind sie zuständig? Je höher die Ebene, desto größer die Zuständigkeit.”
Nina: Und dann hätte ich noch eine Frage zu Föderalismus und dem Online-Zugangsgesetz: Wer muss denn jetzt für die Umsetzung sorgen? Wir haben den Bund, die Länder, Kommunen. Es gibt keine klaren Rahmenbedingungen, wie es umgesetzt werden muss. Ist der Föderalismus also hinderlich in solchen Fragen der Verwaltung?
Christian: Jetzt kriegst du eine Antwort, die aus dem Föderalismus selbst kommt: Wenn es ein Bundesgesetz ist, können die Kommunen gar nicht dafür zuständig sein, weil der Bund den Kommunen nichts zu erzählen hat. Okay, jetzt im Ernst — wer ist zuständig? Alle Ebenen. Und in welchem Maße sind sie zuständig? Je höher die Ebene, desto größer die Zuständigkeit. Wenn es also dieses Gesetz gibt, das jede Stadt dazu verpflichtet, all ihre gesetzlich normierten Dienstleistungen online zugänglich zu machen, dann müssen diese Kommunen eine Unterstützung vom Land bekommen, weil sie das nicht alleine leisten können.
“Am wenigsten kann die Kommune leisten, weil sie finanziell und personell dazu in der Regel nicht in der Lage ist.”
Nina: Und selbst wenn sie es könnten, gäbe es am Schluss wahrscheinlich 11.000 verschiedene Lösungen von 11.000 Kommunen.
Christian: Genau, alle Städte und Gemeinden sind zuständig für das, was sie auf ihrem Gebiet machen. Aber es kann nicht Wille des Gesetzgebers sein, dass wir dann 11.000 verschiedene Lösungen haben. Das heißt: gerade die Bundesländer müssen ihre Städte darin unterstützen, zentrale Lösungen zur Verfügung zu stellen. Es ist Aufgabe der Politik, zumindest für das, was zentral vom Land geregelt ist, auch zentrale Lösungen anzubieten. Das wird natürlich schwierig, weil die Selbstständigkeit der Kommunen nach wie vor Verfassungsrang hat. Es stellt sich also auf der anderen Seite die Frage, inwieweit ein Bundesland oder sogar der Bund den Kommunen sagen kann, was sie genau zu tun haben: “So musst du es machen und das Produkt musst du jetzt einkaufen”. Also zusammengefasst: zuständig sind sie alle, aber am wenigsten davon kann die Kommune leisten, weil sie finanziell und personell dazu in der Regel nicht in der Lage ist.
“Wenn der Bürger seinen Rechtsanspruch durchsetzen möchte, wird er das nicht in Berlin machen, sondern in Bochum.”
Nina: Es wirkt aber schon so, als wäre die Kommune mit der ganzen Thematik so weit alleine gelassen, dass sie sich am meisten verantwortlich fühlen muss.
Christian: Ja, das ist leider die Realität. Das ergibt sich aus der Selbstverwaltung und vielleicht manchmal auch aus dem politischen Selbstverständnis: es ist unglaublich leicht, in Berlin ein Gesetz durchzubringen, in dem steht: “Wir machen eine KiTaplatz-Garantie”. Es ist total richtig, dass Eltern ein Recht auf einen KiTa-Platz haben. Nur: der Bund erlässt so ein Gesetz, aber die Städte müssen die Plätze vorhalten, die KiTas bauen, das Personal einstellen und ausbilden, und sind für alles drumherum verantwortlich.
Nina: Der Bund sagt: “Hier, macht mal”…
Christian: Genau, da kann der Bund glänzen, indem er sagt: “Jetzt hat jeder einen Rechtsanspruch und der Bürger ist befriedigt.” Nur, wenn der Bürger seinen Rechtsanspruch auch durchsetzen möchte, wird er das nicht in Berlin machen, sondern in Bochum. Und dann steht Bochum da und sagt: “Ja, ich kenne das Gesetz und bin auch verpflichtet, das zu machen, aber ich habe das Geld nicht. Und selbst, wenn ich das Geld habe, finde ich die Kindergärtner nicht.” Nimm zum Beispiel Düsseldorf, das ist eine reiche Stadt — die sind schuldenfrei und können ganz einfach KiTas bauen, aber Erzieher:innen finden sie trotzdem nicht. Es sind eben keine auf dem Markt.
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