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Wenn Scheitern zur Option wird: Bochums Projekt “Arbeiten 4.0”

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Stadt-Gespräche — Folge 2

In den neuen Stadt-Gesprächen reden wir, vom städtischen Start-Up ShiftDigital, mit Menschen aus der Verwaltung über Digitalisierung, E-Government und Neues Arbeiten. In dieser Folge sprechen wir mit Thomas Schäfer über Entstehung und Ziele des Projektes “Arbeiten 4.0” bei der Bochumer Stadtverwaltung.

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Nina da Costa: Kommen wir zu Arbeiten 4.0 bei der Stadt Bochum. Ist das ein Projekt, eine Initiative…?

Thomas Schäfer: Man sagt ja, Projekte dauern sechs Monate, dann sind sie vorbei — alles andere ist ein Zustand. Es war als Projekt aufgelegt, aber mit ganz losen Regularien. Normalerweise hat man ja ein klares Ziel, wo man hin will, und wir haben einfach das Ziel bekommen: “Lauft mal los und probiert ein bisschen aus.” Es wird zwar als Projekt gesehen, ist aber kein klassisches. Wir haben zwar einen Projektauftraggeber und so weiter, das wird nicht so gelebt, wie es in klassischen Projekten der Fall ist.

“Wenn man Digitalisierungsthemen angeht, muss man gucken, was das mit den Leuten macht.”

Nina: Erzähl mal: Seit wann macht ihr das, wie viele Leute seid ihr…?

Thomas: 2018 war der Startpunkt des Projektes, vom Dezernenten Sebastian Kopietz beauftragt. Der offizielle Projektleiter ist Björn Schoppohl mit einer halben Stelle, und dann noch ich mit meiner halben. Das heißt, dass sich ein Vollzeit-Äquivalent um das Ganze kümmert. Wir können auf Ressourcen zugreifen, die in der Organisation schon vorhanden sind. Also, wir können anklopfen und sagen: “wir brauchen das, könnt ihr uns dabei helfen?” Der Ursprungs-Testpilot ist die Stabsstelle für Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit und Gesundheit. Das sind 15 Leute, die ganz unterschiedliche Bereiche betreuen. Darin sind Betriebsärtzt*innen, eine Sekretärin, vier Fachkräfte für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit — “FaSi” ist die Abkürzung dafür. Und dann sitzen da unser Psychologe und das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement.

Nina: Und das war eure erste “Versuchsgruppe”?

Thomas: Genau. Wir sollten schauen, wie wir ihren Arbeitsalltag verändern, verbessern, erleichtern können. Wir haben von Anfang an gesagt: wenn man Digitalisierungsthemen angeht, muss man gucken, was das mit den Leuten macht. Stehen sie vielleicht unter Stress, weil sie sich immer erreichbar fühlen? Oder weil sie mit der neuen Technik nicht umgehen können? Und so weiter. Deshalb hat man unter anderem diese Fachkräfte ausgewählt: weil sie sich genau damit auskennen. Der Psychologe kann relativ gut beurteilen, was das mit ihm macht, und wenn er das am eigenen Leib erfährt und ausprobiert, weiß er auch, was schiefgehen kann.

“Scheitern ist definitiv eine Option. Das ist eigentlich ganz befreiend.”

Nina: Du meintest, dass ihr einfach loslaufen solltet, ohne euch großartig irgendwelchen Regeln zu unterwerfen. Das heißt, ihr bekommt auch Freiheiten, um euch auszuprobieren?

Thomas: Wir haben in Kooperation mit dem Personalrat einige Dienstvereinbarungen außer Kraft gesetzt. Der Arbeitszeitkorridor wurde zum Beispiel erweitert: wir dürfen jetzt zwischen 6 und 22 Uhr und auch an Samstagen arbeiten. Die Leute sind aber selbst dafür verantwortlich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten: 11 Stunden Ruhezeit zwischen den Schichten, nicht mehr als 45 Stunden die Woche, und so weiter. Das wird dann mit dem Personalrat ausgewertet. Generell können wir Lösungen relativ unkompliziert anstoßen, weil wir den Rückhalt vom Dezernenten haben und schnell viele Leute an einen Tisch holen können. Der Gedanke beim “einfach loslaufen” war vor allem, dass man zu langsam ist, wenn man immer erst Konzepte durchdenkt und irgendwann umsetzt. Wenn man einfach mal macht, ist man freier, kann in mehrere Richtungen gehen und schneller reagieren.

Nina: Es ist ja auch leichter, ein Experiment abzubrechen als etwas, das lange geplant ist.

Thomas: Genau. Scheitern ist definitiv eine Option. Das ist eigentlich ganz befreiend.

“Wenn sich alles verändert, muss man auch die Arbeitsbedingungen anpassen.”

Nina: Wurden euch konkrete Ziele formuliert, die ihr anstreben sollt?

Thomas: Fest vorgegeben wurde uns nichts, aber ich hatte schon das Gefühl, dass von Anfang an ein Konsens herrschte, was man sich anschauen muss. Wir haben bei der Stadt ein großes Platzproblem; Büroraum ist teuer. Da muss man gucken, ob man das mit Desk Sharing und Home Office effizienter nutzen kann. Das lag relativ schnell auf dem Tisch und das fanden wir auch spannend, weil es viele Unternehmen schon machen. An der Uni ist es zum Beispiel ja auch so: man geht da hin, wo gerade Platz ist und arbeitet da.

Nina: War es mit mobilem Arbeiten ähnlich?

Thomas: Genau, es war gerade für die FaSis klar, dass wir uns das anschauen wollen. Die begutachten ja Büros oder Arbeitsstätten, deshalb war es eines unserer Ziele, dass sie ihre Protokolle nicht mehr auf Papier schreiben. Da sehen wir die größten Effizienzsteigerungen. Ansonsten haben wir noch ein kulturelles Thema, nämlich einen Wertschätzungsgedanken, denn wenn sich alles verändert, muss man auch die Arbeitsbedingungen anpassen. Aber generelle Vorgaben gab es für uns nicht: Unser Projektauftrag ist eine fast leere Seite. Da steht nur: “Herr Schoppohl und Herr Schäfer machen mit und Herr Kopietz ist der Auftraggeber” — das war’s.

Nina: Und “Macht mal”.

Thomas: Genau. Wirklich cool.

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